Die Wiederentdeckung der Feuerbestattung: Der Durchbruch in den Städten
Wie schon im ersten Teil dieser Serie zur Entwicklung der modernen Feuerbestattung beschrieben, zeugte in Deutschland vor allem die Einäscherung im Krematorium vom sich seit dem 18. Jahrhundert durchsetzenden modernen Umgang mit den Toten; sie gilt als Meilenstein und Epizentrum deutlicher Umwälzungen und Brüche in der Bestattungskultur. Das erste deutsche Krematorium wurde 1878 in Gotha fertiggestellt. Bedingt durch die ablehnende Haltung geistlicher und weltlicher Obrigkeiten – auch die nicht einheitliche Rechtslage in den einzelnen Teilstaaten im Deutschen Reich erschwerte die flächendeckende Ausbreitung der Feuerbestattung – konnten die nächsten Krematorien erst 1891 in Heidelberg und 1892 in Hamburg gebaut werden. Das Krematorium in Hannover wurde erst 1924 auf dem Stadtfriedhof Seelhorst fertiggestellt.
Dennoch galt die Feuerbestattung in weiten Teilen der eher konservativ gestimmten Bevölkerung zunächst nicht nur als unchristlich, sondern auch als zweitklassig – trotz mittlerweile zusätzlich errichteter Krematorien und zahlreicher Sympathie-Bekundungen prominenter Zeitgenossen betrug der Anteil der Kremationen an der Gesamtzahl der Bestattungen im Jahr 1900 lediglich 0,02 Prozent. Die Feuerbestattungsvereine konnten jedenfalls mit dem geringen Zuspruch nicht zufrieden sein, denn die Krematorien arbeiteten umso effektiver, je höher sie ausgelastet waren.
Der langersehnte Durchbruch der Feuerbestattung bahnte sich in der Zeit der Weimarer Republik mit der Kommunalisierung der bisher von privaten Feuerbestattungsvereinen betriebenen Krematorien und der Verbilligung der Einäscherung an. 1934 sorgten schließlich die Nationalsozialisten mit einem für das gesamte Deutsche Reich geltenden, einheitlichen Feuerbestattungsgesetz für die rechtliche Gleichstellung von Erd- und Feuerbestattung, um die – politisch gewollte – Akzeptanz der Feuerbestattung in der Bevölkerung zu erhöhen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich die Feuerbestattung im Laufe von fünf Jahrzehnten zur vorrangigen Bestattungsart und galt fortan vielen Menschen als die modernere, hygienischere und einfach angemessenere Bestattungsform. Dabei gibt es in der Akzeptanz der Feuerbestattung starke regionale Unterschiede: In Städten ist die Kremation verbreiteter als auf dem Land, niedrige Fallzahlen sind in erster Linie in katholisch geprägten Regionen zu beobachten. Besonders hohe Einäscherungsquoten treten in den Städten auf, in denen die ersten Krematorien errichtet worden sind; in den neuen Bundesländern liegen die Werte gar über dem Bundesdurchschnitt, da die Feuerbestattung vom Staatssozialismus gefördert wurde.
Dieser Text ist ein Auszug aus der 2012 erschienenen wissenschaftlichen Arbeit “Ich will ja niemandem zur Last fallen! Sozialwissenschaftliche Perspektiven auf die Ökonomisierung im Bestattungswesen” von Sven Friedrich Cordes. Weitere Auszüge können Sie ebenfalls hier im Blog von Cordes Bestattungen Hannover lesen.