Was passiert, wenn geliebte Menschen von Freunden sterben?
Als mich Florian in der Nacht zum 7. Oktober 2019 aus dem Bett klingelte und mir sagte er müsse einen Sterbefall melden, hielt ich das ganze erst einmal für einen schlechten Scherz. Das kenne ich schon von anderen Bekannten, die das öfter mal machen – weil man ja eben Bestatter ist. Aber als mehr Details aus ihm heraus brachen – die zumeist kein Außenstehender wissen konnte – wurde mir klar, dass es sich um eine Tatsache handelte und eine tiefe Betroffenheit stellte sich ein. Vorallem in Hinsicht darauf, dass ich seinen Vater kannte und Florian selbst als Freund sehr schätze.
Das ist für mich immer noch eine andere Sache, als wenn wir von einem Außenstehenden einen Auftrag bekommen. Also klärte ich noch die weiteren Vorgehensweise ab und sprach dann mit Sven darüber, dass er doch bitte dieses Trauergespräch führen müsse – weil ich die professionelle Distanz nur schwer wahren könnte. Was er natürlich gerne machte.
Florians Vater Hubert hat sich sein Ende selbst ausgesucht. Ich kann diese Entscheidung nur immer wieder unterstützen, da jeder über sich und sein Leben in jeder Lage bestimmen dürfen sollte. Für uns als Bestatter hier in Hannover taucht, selbst in diesem sehr persönlichen Fall, bei Freunden, wieder einmal die grundsätzliche Frage auf: Klassische Trauerfeier aber dennoch individuell bleiben und nicht die komplett eingefahrenen Wege gehen, ist das möglich? Ja – ist es.
In diesem Fall war es wichtig, dass wir einen großen kosmetischen Eingriff in Form von Totenfrauarbeiten vornahmen, denn dieser Prozess ist enorm bedeutend, um den Tod wirklich greifbar zu machen. Schließlich sind Sätze der Angehörigen wie „Wir möchten ihn so in Erinnerung behalten wie er war“, zumeist nur Ausflüchte und damit eigentlich eher eine Form von Angst.
Den geliebten Verstorbenen noch einmal aufgebahrt in seinem Lieblingsanzug oder dem Trikot des Lieblingssportvereins zu sehen, seine Hand ein letztes Mal zu halten und wirklich zu verstehen, dass die geliebte Person nicht mehr wieder kommt und man ihn gehen lassen kann: Das ist ein trauriger Anlass, aber doch ein sinnvoller Trost. Jedes Ende, so leidvoll es auch sein mag und welches zumeist großes Unverständnis auslöst, lässt einen selbst den Wert seiner eigenen Sterblichkeit erkennen – und lehrt einen letztlich auch, das Leben noch mehr zu schätzen und der Zukunft gewissenhafter entgegen zutreten.
Die Trauerfeier fand auf dem Stadtfriedhof Stöcken statt, einer der für mich schönsten und ehrwürdigsten Friedhöfe im Stadtgebiet. Der imposante Eingangsbereich im neugotischen Stil, mit seinen roten Backsteinen und dem parkähnlichen Aufbau des Friedhofs, schien für Florian und mich der perfekte Ort für die Beisetzung zusein. Die katholische Trauerfeier mit dem großartigen Pfarrer Daniel Konnemann, bei dem immer eine gewisse Leichtigkeit mitschwingt und der ein angenehmer Ansprechpartner ist, brachte in diesem besonderen Fall, eine große, zusätzliche Erleichterung.
Die Trauerfeier war von eigener Musik begleitet, die Florian selbst eingespielt und komponiert hatte. Er trug den Sarg seines Vaters mit und half mir im Nachgang sogar, ein paar Wochen später, dass Grabkreuz aufzustellen. Dieses diente lediglich für die Markierung des Grabes, bis die Steinumrandung und der Stein aufgestellt werden konnten – trotzdem ist es ein Teil der Trauerarbeit. Mit Freunden.
Nach der Trauerfeier haben wir uns dann noch im Trauercafé Anna Blume direkt auf dem Friedhof getroffen und es wurden bei Kaffee und Kuchen, anrührende Geschichten aus dem gemeinsamen Leben mit Hubert erzählt. Ganz klassisch. Aber doch individuell.
Tom Heider
Fotos: Familie Kochon (privat – Mitte links Florian Kochon, rechts Bestatter Tom Heider) / Misburg3014