Die Wiederentdeckung der Feuerbestattung im späten 19. Jahrhundert
Neben der Aufbahrung in Leichenhallen und der Bestattung auf den neu angelegten Großfriedhöfen zeugt vor allem die Einäscherung im Krematorium vom sich seit dem 18. Jahrhundert durchsetzenden modernen Umgang mit den Toten – sie gilt als Meilenstein und Epizentrum deutlicher Umwälzungen und Brüche in der Bestattungskultur.
Die Wiederentdeckung der Feuerbestattung im späten 19. Jahrhundert in Anlehnung an antike Vorbilder ist Teil der durch den Bedeutungsverlust der institutionalisierten Kirchen, Technisierung und den Hygiene-Diskurs geprägten Entwicklungen seit der Aufklärung. Wie schon bei der Errichtung der Leichenhallen waren auch hier größtenteils hygienische Argumente für das Interesse an einer platzsparenden und ‘sauberen’ Bestattungsart ausschlaggebend.
Nachdem sich die Skepsis gegenüber religiösen Glaubensvorstellungen bezüglich des Weiterlebens nach dem Tode ab dem 18. Jahrhundert von intellektuellen Kreisen auch auf das Bürgertum ausbreitete, entwickelte sich dort jene vor allem von Medizinern, Hygienikern und Ingenieuren, aber auch von Kaufleuten vertretene pragmatisch-rationale Einstellung zum Tod – die letzlich grundlegend für die Einführung der Feuerbestattung ist.
Ihre Befürworter organisierten sich in Feuerbestattungs-Vereinen, die nicht nur die öffentliche Meinung beeinflussen, sondern auch die Finanzierung der ersten Krematorien gewährleisten sollten. Ihre Anhänger hatten vielschichtige Gründe, die sie für die Feuerbestattung vortrugen: Ärzte und Hygieniker sahen gesundheitliche Vorteile in der Feuerbestattung; sie befürchteten die Verschmutzung von Luft und Wasser durch gefährliche, von verwesenden Leichen ausgehenden Stoffe. Zudem entwickelte sich in bestimmten Kreisen eine Aversion gegen das langsame Verwesen des Körpers in der Erde; man bevorzugte, den Körper durch Einäscherung dem Verwesungsprozess zu entziehen und damit seine Zerstörung durch „a ‘hygienic’ technological process rather than by dirty, smelly old nature“. Die Angst vor dem verwesenden Leichnam wurde so durch eine naturwissenschaftliche Argumentation rational legitimiert.
Neben einem aufgeklärten Bildungsbürgertum, das antiken Idealen nacheiferte und sich an der Feuerbestattung des klassischen Altertums orientierte, schlossen sich den Feuerbestattungs-Vereinen auch Vertreter der Sozialdemokraten und der Arbeiterbewegung an, die in der Feuerbestattung eine kostengünstigere Alternative erblickten, um die ausgebeutete Arbeiterschaft finanziell zu entlasten. Darüber hinaus waren auch agnostische Freigeister vertreten, die die Feuerbestattung befürworteten, „um ein antikirchliches Fanal zu setzen“.
Dieser Text ist ein Auszug aus der 2012 erschienenen wissenschaftlichen Arbeit “Ich will ja niemandem zur Last fallen! Sozialwissenschaftliche Perspektiven auf die Ökonomisierung im Bestattungswesen” von Sven Friedrich Cordes. Weitere Auszüge können Sie ebenfalls hier im Blog von Cordes Bestattungen Hannover lesen.